GEDANKEN ZUR INSPIRITATION VON ELLEN G: WHITE
"Seit acht Jahren, nämlich seit
dem Reichstage von Worms 1521, auf dem Luther sein mannhaftes Wort 'Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott
helfe mir, Amen' gesprochen hatte, weilte Kaiser Karl V. nicht mehr in
Deutschland, sondern im Lande seiner Erziehung, in Spanien, dessen Königsthron
er schon inne hatte, als ihn 1519 die deutschen Kurfürsten zum Kaiser wählten.
Von Worms aus hatte dama]s der Kaiser
ein Edikt erlassen, demzufolge Luther and seine Anhänger mit der Acht belegt
and seine Lehre verboten wurde. Aber die evangelischen Fürsten hielten sich
nicht daran, und der Kaiser zeigte zunächst auch keine Lust, deswegen
ent-scheidende Schritte zu tun, zumal er selbst mit dem Papst nicht auf bestem
Fuße stand, Seine Heiligkeit sogar mit Krieg überzogen und dabei den Erfolg
gehabt hatte, daß der kaiserliche Feldherr, der Konnetabel von Bourbon, im
Jahre 1527 die wohlverteidigte Stadt Rom erstürmte, wonach der Papst in der
Engelsburg durch deutsche Landsknechte unter Georg von Frundsberg belagert und
schließlich gefangen gesetzt wurde. Dieser Kriegszug war vom Kaiser deshalb
unternommen worden, weil Papst Klemens VIl. den hartnäckigen Gegner Karls V.,
den König Franz I. von Frankreich, in seinem Streite mit dem Kaiser fortwährend
unterstützte, ja 1527 sogar ein festes Bündnis mit dem König gegen Karl V.
geschlossen hatte.
Im Jahre 1526 war in
Speyer ein Reichstag abgehalten worden, and zwar - wie bei dem 1529 folgenden
Speyerer Reichstag - unter dem Vorsitz von Karls V. Bruder Ferdinand, König von
Böhmen und Ungarn. Auf diesem Reichstage bestand keine der beiden, durch ihre
Religionsanschauungen getrennten Parteien unter den deutschen Fürsten and
Ständen auf einer sofortigen Entscheidung der Glaubensangelegenheiten, sondern
man einigte sich dahin, daß eine besondere Gesandschaft den Kaiser bitten
sollte, zunächst persönlich nach Deutschland zu kommen, um sodann gemeinsam mit
dem Papste ein Konzil einzuberufen, oder doch, wenn der Papst dafür nicht zu
haben wäre, eine Nationalversammlung in einer deutschen Stadt abzuhalten, sodaß
man der beginnenden Religionsspaltung Einhalt tun, ja sich wieder zu einer
einzigen Lehre vereinigen könne. Denn auch die evangelischen Stände hielten in
jenem Zeitpunkt eine solche Vereinbarung noch für möglich und wünschenswert.
Bis also ein Konzil oder eine ähnliche Versammlung zusammentrete, sollte gemäß
dem Speyerer Reichtagsabschied von 1526 jeder Landesherr oder jede sonstige
Obrigkeit ohne Ansehung des Wormser Ediktes so leben, regieren und es halten,
wie ein jeder es sich vor Gott und dem Kaiser zu verantworten getrauen
könnte." - Heuser, Seite 1-2.
Inzwischen hatten sich nun Kaiser and
Papst wieder angenähert; der Papst forderte, das Luthertum im Reich völlig
auszurotten; allein der Kaiser wollte im Moment nur die weitere Ausbreitung
verhüten - es gleich ganz zu verbieten, wäre unklug gewesen, denn er war wegen
der akuten Türkengefahr auch auf die Beteiligung und damit das Wohlwollen der
evangelischen Fürsten and Städte angewiesen.
Zur Beschlußfassung im Sinne des
Kaisers wurden auf dem Reichstag von Speyer 1529 schließlich 7 Punkte
vorgelegt. A. Jung nennt sie in "Beiträge zur Geschichte der
Reformation"; erste Abteilung: Geschichte des Reichstages zu Speyer in
dem Jahre 1529, mit einem Anhang von 56 Aktenstücken, darunter die
Protestation von 1529" (Straßburg
and Leipzig, 1830) auf Seite 21-22:
"Zuerst wurde wieder das
allgemeine Concilium, and im Fall dieses nicht in zwei Jahren einberufen würde,
eine allgemeine Reichsversammlung zugesagt, in welcher diese Angelegenheiten
entschieden werden sollten. Dann wurde sowohl denjenigen Ständen, welche noch
nichts geändert hatten, als auch denjenigen, welche die Reformation
angenommen, untersagt, weitere Neuerungen vorzunehmen; der dritte Punkt betraf
das Sakrament des Opfers, das Niemand in dem Reiche antasten solle; nach dem vierten
Artikel sollte weder bei der einen noch bei der andern kirchlichen Partei die
Messe abgestellt, sondern an allen Orten jedem dieselbe zu hören gestattet
werden; der fünfte befahl die Bestrafung der Wiedertäufer; der sechste bezog
sich auf die Büchercensur, die jedoch nach dem Nürnberger Abschied den
Obrigkeiten übertragen blieb; endlich wurden in dem letzten Artikel die
Einkünfte eines jeden verwahrt, and strenge Strafen denjenigen an gedroht,
welche solche einziehen würden. Dies bezog sich vorzüglich auf die kirchlichen
Gefälle der Bischöfe, Kapitel and Orden, welche hin and wieder in Beschlag
genommen worden waren."
Natürlich hatten die evangelischen
Fürsten and Städte gegen manche dieser Punkte einiges einzuwenden, da man
ihnen die 1526 zugestandenen Freiheiten nun, soweit möglich, beschneiden
wollte. In einer an den Kaiser gerichteten Protestschrift, die A. Jung im
Wortlaut bringt, beanspruchen sie für
sich die Religionsfreiheit. Am kürzesten werden die Punkte 5 and 6
abgehandelt, and zwar mit dem einen Satz:
"So
wollen wir, was die nachvolgenden Punct, als die Widertauff und den Druck
beührt, wie wir allwegen auf disem Reychs=Tag verstanden seind, mit Ewer Lieb
und Euch auch eynig sein, und uns Inhalts derselbigen Punct, in allweg auch
gepürlich zu halten wissen." - Seite xcii.
Vom mittelalterlichen Staub befreit,
heißt dies nichts anderes, als daß die Unterzeichner dieser Protestation mit
der Verfolgung der Wiedertäufer and unliebsamer Druckschriften einverstanden
sind und sich wie bisher daran halten werden.
Auch würden sie neben der evangelischen
Messe (= Abendmahl) in ihren Gebieten keine katholische Messe abhalten lassen.
Sie bestanden darauf, "... wann wir in unsern Stetten, Flecken and
Gebieten, zweyerley einander widerwertig Messen halten lassen würden
...", dies "gar zu keinem Frid noch Eynichkeyt dienen würde." -
Seite xcix - c.
Wir sehen hier bereits die ersten
Auswirkungen des von Luther ab Ende 1526 vertretenen Prinzips, daß der
jeweilige Landesfürst in Religionssachen seiner Untertanen zu entscheiden habe
and nicht etwa jeder Untertan selbst. Damit war die protestantische
Staatskirche gegründet und herrschte mit staatlicher Gewalt bald so souverän
wie die katholische Kirche. Alle anderen blieben weiterhin überall der
Verfolgung ausgesetzt.
Aus den Verhandlungsprotokollen von
Speyer geht immer wieder hervor, daß es nur um die Sicherung der Rechte der
evangelischen Städte nach der Lehre Luthers and Zwinglis ging, daß aber alle
weitere Neuerung, Sekten und Wiedertäufer bei Strafe zu verbieten seien. - Vgl,
bei A. Jung die Seiten xxx, lv, lxxxvi, lxxxvii
Das bestätigt auch Samuel H. Geiser in
"Die taufgesinnten Gemeinden im Rahmen der allgemeinen
Kirchengeschichte"" 2. Aufl. 1971: Sie forderten daselbst für sich
die Glaubensfreiheit. Auf demselben Reichstag wurde von den lutherischen and
römisch-katholischen Fürsten and Ständen gemeinsam cie Unterdrückung der
'Sekten' and 'Ketzer' beschlossen. Alles, was Kirche hiess, verbündete sich zu
einem Vernichtungskrieg gegen die ausserhalb eines kirchlichen Rahmens
stehenden Gemeinschaften, gegen welche unter dem allgemeinen Namen
'Wiedertäufer' eine wahre Hetzjagd begann. - Seite 89.
Nun ist es nur noch eine Frage unserer
eigenen Einstellung zum Staatschristentum einerseits and zu Glaubenstaufe and
Sabbat andererseits, ob wir den Reichstag zu Speyer 1529 positiv oder negativ
beurteilen. Ellen White bezog wie folgt Stellung:
"Eines der edelsten jemals für die Reformation vorgebrachten Zeugnisse war der von den christlichen Fürsten Deutschlands auf dem Reichstag zu Speyer 1529 abgegebene Protest. Der Mut, der Glaube and die Standhaftigkeit jener Männer Gottes erbrachte für nachfolgende Zeitalter Meinungs- und Gewissens-freiheit. Ihr Protest gab "der reformierten Kirche den Namen Protestanten; ihre Prinzipien sind das eigentliche Wesen des Protestantismus' - D'Aubigne, Buch l3, Kap.6." -GC197 = GK 197.
"Die in diesem berühmten Protest
enthaltenen Prinzipien . . . stelllen das eigentliche Wesen des Protestantismus
dar. Dieser Protest stellt sich nämlich gegen zwei menschliche Mißbräuche in
Glaubenssachen: der erste ist die Einmischung der Ziviibehörden und der zweite
die Willkürherrschaft der Kirche . . . - Ebenda, Buch 13, Kap. 6 . . . Der
Protest von Speyer war ein feierliches Zeugnis gegen religiöse Intoleranz and
eine Beanspruchung des Rechts aller Menschen, Gott nach ihrem eigenen Gewissen
anzubeten." - GC 203-204 = GK 203-204,
Kein Wunder, daß Ellen White ab der
Reformation die wahre Gemeinde bei den Protestanten suchte, statt wie bisher
bei den Verfolgten, bei Täufern and Sabbathaltern. Der ganze Fortgang des
Großen Kampfes" wird hiervon beeinflußt.
Dabei schrieb sie an anderer Stelle
selbst: "Der Wille Gottes, der so offensichtlich in Seinem Wort
geoffenbart ist, wurde von Irrtümern and Traditionen verdeckt, die als die
Gebote Gottes gelehrt wurden. Obwohl diese den Himmel herausfordernde
Verführung bis zur Wiederkunft Jesu geduldet wird, ist Gott doch in all dieser
Zeit des Irrtums and der Verführung nicht ohne Zeugen geblieben. Inmitten der
Finsternis and Verfolgung der Gemeinde hat es immer Wahrhaftige and Treue
gegeben, die alle Gebote Gottes gehalten haben. - EW 216 = EG 206.
Statt von Siebenten-Tags-Baptisten and
ähnlichen Gruppen lesen wir aber im "Großen Kampf" von Wesley and
anderen Sonntagshaltern. Das kann auch
gar nicht anders sein, denn die Autorin selbst fußt auf der Millerbewegung,
die sich aus sonntagshaltenden Protestanten zusammensetzte.
Der Reichstag von Speyer 1529 wird
natürlich von Protestanten sehr positiv hingestellt. Gewiß hat sich Ellen
White - wie schon bei den Interdikten 1411/1412 - zu sehr auf
Geschichtsschreiber verlassen. Da hier aber nicht nur ein Jahr, sondern über
300 Jahre Kirchengeschichte auf dem Spiel stehen, ist es unbegreiflich, wie sie
bei der Darstellung des großen Kampfes zwischen Licht und Finsternis derart die
Fronten verwechseln konnte und dennoch göttliche Inspiration für sich
beansprucht.
Doch war sie im Alter von 77 Jahren
noch davon überzeugt: "Es befindet sich eine gerade Wahrheitskette ohne einen einzigen Satz
der Irrlehre in dem, was ich geschrieben habe."(While I am
able to to this work, the people must have these things to revive past history,
that they may see that there is one straight chain of truth, without one
heretical sentence, in that which I have written. This, I am instructed, is to
be a living letter to all in regard to my faith.) Letter 329 A von 1905.
Dieter Heimke
Deutschland