GEDANKEN ZUR INSPIRATION VON ELLEN G. WHITE
Als der
Reformator Johann Huss in Böhmen wirkte, geschah folgendes:
"König
Wenzel war, äu8erst erbost über die Kurie, daß all seine Bemühungen zugunsten
von Huss so schnöde ignoriert worden waren. Ihm mißfiel zutiefst der Ruch der
Ketzerei, in den der Kardinal and sein eigener Erzbischof sein Land dadurch
brachten ... Der König ... erließ nun einen Befehl zur Einstellung der
Zahlungen an .....die Priester der Kathedrale sowie die Pastoren der Kirchen in
Prag. Als Grund gab er an, sie hätten über das Reich Lügen verbreitet...
Nunmehr war
Zbynek (der Erzbischof) so entschlossen, all seine kirchliche Macht
einzusetzen, daß er auf Anraten seiner Berater ein Interdikt (am 20. Juni)
über Prag and einen Umkreis von 2 Meilen verhängte. Die schreckliche Waffe, die
normalerweise alle Gottesdienste and Handlungen wie Taufen, Hochzeiten,
Beerdigungen und die Erteilung jeglicher Sakramente unterbindet, blieb
wirkungslos. Der König verbot einfach die Befolgung. Diejenigen Priester and
Pralaten, die sich seinem Befehl widersetzten, wurden ihrer Ämter enthoben, die
dann mit solchen besetzt wurden, die seinen Willen befolgten. Die Domherren von
St. Veit flohen, and ihre Ämter übernahmen andere. Diesen offenbar
hoffnunslosen Kampf erhielt der Erzbischof nur zwei Wochen lang aufrecht. Am 3. Juli nahm er zusammen mit den übrigen
Prälaten and Priestern, die ihm treugeblieben waren, den ihm vom König
angebotenen Vergleich an."
Dieses Zitat
stammt von Matthew Spinka, "John Huss: A Biography"
(Princeton, 1968), Seite 124-125. und wird als maßgebend zitiert von Ron
Graybill in "Historical
Difficulties in the Great Controversy" (Historische Schwierigkeiten im
Großen Kampf) herausgegeben vom White Estate (Washington, D.C.) am 30. Januar
1978, revidiert im Juni 1982, Seite 3-4. Es ist also eine offizielle Schrift
der Siebenten-TagsAdventisten.
Im nächsten
Jahre, 1412, verhängte dann der Papst ein Interdikt gegen Prag, das befolgt wurde
and zu solchem Tumult führte, daß Huss die Stadt verließ and im Dezember 1412
in einem Brief schrieb:
"Wenn ich mich aus eurer Mitte zurückgezogen habe, so deshalb, um dem Gebot und Beispiel Jesu Christi zu folgen, den Übelgesinnten keinen Raum zu geben, sich ewige Verdammnis zuzuziehen, und um über die Frommen nicht Leid and Verfolgung heraufzubeschwören ..."
Dieses Zitat
von Huss findet sich bei Ellen White in GC 101 = GK 100 mit
vorausgehender Beschreibung der schrecklichen Auswirkungen eines Interdikts; es
ist aber von ihr dem Zusammenhang nach auf 1411 bezogen. Daß Huss den Brief im
Dezember (gleich, welchen Jahres) geschrieben hatte, geht aus dem Satz hervor:
'Meine Geliebten, der Tag ist nun nahe, daß wir der Geburt des Herrn gedenken
werden." - Graybill, Seite
6 (nicht bei Ellen White).
Im Dezember
1411 aber gab es für Huss keinen Grund fur ein solches Schreiben oder für seine
Abwesenheit, weil das Edikt vom Juni 1411 wirkungslos geblieben war - was auch
niemand bestreitet. Nur stimmt bei Ellen White die geschichtliche Einordnung
nicht. Ron Graybill erörtert dann zwei Erklärungsversuche, die in Adventkreisen
vorgebracht wurden, um Ellen White zu retten.
1 -
Sie habe das Interdikt von 1412 gemeint - was aber unmöglich sei, da sie
beide Interdikte unmißverständlich erwähnt.
2 - Sie habe nur eine allgemeine Beschreibung
eines Interdikts geben wollen - was aber abwegig sei, weil 1411 genau das
Gegenteil eintraf.
Er verwirft
also beide Erklärungsversuche als unzureichend and stellt nach eingehender
Würdigung der geschichtlichen Quellen fest: "Somit wissen wir, daß Frau
White's Anführung dieses Briefes in diesem Zusammenhang ein historischer Fehler
ist, bekannt als 'Anachronismus'." - Seite 6.
Wie vereinbart
sich das mit Ellen White's Anspruch, sie habe die historischen Begebenheiten
des Großen Kampfes im Gesicht gezeigt bekommen? Nun, Ron Graybill zitiert
ihren Sohn William C. White, der aussagt, seine Mutter habe das Wesentliche
gewissermassen blitzartig im Gesicht gezeigt bekommen, aber die historische
Einordnung dieser Szenen aufgrund fehlbarer historischer Quellen vorgenommen.
Weiter führt Graybill aus: Vielleicht sah Frau White ein Interdikt, ja, sogar ein wirksames Interdikt. Vielleicht sah sie auch Huss aus Prag fliehen Als sie in außervisionären Quellen suchte, um Zeit und Ort dieses Interdikts und der Abreise von Huss zu finden, benutzte sie Wylie oder Bonnechose. Unglücklicherweise hatten diese zwei Geschichtsschreiber die Auswirkungen des unwirksamen Interdikts von 1411 mit denjenigen des wirksamen Interdikts von 1412 durcheinandergebracht. Sie folgte ihnen in deren Bericht and war dementsprechend konfus betreffs der genauen Fakten in diesem Teil ihrer Erzählung - Ebenda.
Dann folgt sein
Fazit in vier Absätzen:
"Den Hinweisen von W. C. White and dem vor uns
liegenden Beweismaterial folgend, drängt sich uns der Schluß auf, daß "Der
Große Kampf" kein Buch ist, das als alleinstehende maßgebliche Quelle
in Sachen von Zeit, Ort oder Details historischer Ereignisse verwendbar wäre.
Es mag sein, daß Frau White tatsächlich in manchen Fällen visionäre
Informationen über diese Sachen hatte; aber sie hat uns kein Buch beschert, in
dem es uns möglich wäre, zwischen den allein aus historischen Quellen geschöpften
Punkten und dem aufgrund von Gesichten dargestellten Material zu unterscheiden.
In welchem Sinne ist dann "Der Große Kampf" maßgeblich
(englisch: authoritative)? Er gibt uns maßgebliche Antworten auf diejenigen
Fragen, die die Autorin gemäß ihrer Einleitung beantworten will. Mit welcher
Absicht hat sie das Buch geschrieben?
Die Szenen des großen Kampfes zwischen Wahrheit and Irrtum zu entfalten: die Tücken Satans zu offenbaren sowie das Mittel, womit man ihm erfolgreich widerstehen kann; eine befriedigende Lösung des großen Problems des Böses aufzuzeigen, ein solches Licht auf den Ursprung and die endgültige Abschaffung der Sünde zu werfen, daß die Gerechtigkeit and Güte Gottes in all Seinem Handeln mit Seinen Geschöpfen völlig offenbar wird; and die heilige, unveränderliche Natur Seines Gesetzes aufzuzeigen, ist die Absicht dieses Buches.' - GC Seite xii (= GK 14)
In der Behandlung dieser Themen - Themen von viel
größerer Bedeutung als die Frage, wo Huss im Sommer 1411 war - ist Der Große
Kampf eine entscheidende und maßgebliche Quelle"
- Graybill, Seite 6-7.
Das liest sich zunächst gut, aber wenn man
bedenkt, welches Ringen damals zwischen Wenzel und Huß einerseits und Zbynek
und den Priestern andererseits stattfand, so war es doch gerade der erklärte
Zweck dieses Buches, "die Szenen
des gro8en Kampfes zwischen Wahrheit und Irrtum zu entfalten", und zwar
maßgeblich.
Statt dessen finden wir an dieser Stelle (und wer
weiß, wie oft sonst noch) ein frommes
Märchen: Wahrheit und Irrtum fließen ineinander; aber es schadet offenbar
nicht, solange die Moral von der Geschicht' noch stimmt: Reformator gut;
Papsttum schlecht.
So allerdings wird sich kaum ein von EIlen White ilberzeugter Leser den
"Großen Kampf" vorge-stellt haben - als ein Buch, in dem man, wie in jedem anderen auch, die Spreu vom Weizen
scheiden muß - ein weitgehend
historisch aufgebautes Buch, in dem nicht feststellbar ist, welche historischen
Angaben inspiriert sind und welche nicht - ein Buch, das den Kampf zwischen
Wahrheit und Irrtum aufzeigen will und selbst zwischen Wahrheit und lrrtum
nicht zu unterschei- den vermag.
"Gott tut nichts in Partnerschaft mit
Satan", sagt Ellen White (5T 671 = 2.Sk 258). Weshalb ist dann dieses Buch
nur teiIweise inspiriert und teilweise auf Irrtum gegründet? Wenn wenigstens
die inspirierten Teile durch Rotdruck ersichtlich wären . . .
Ron Graybill steht übrigens mit seiner Beurteilung
nicht allein Schon 1975 hat Robert Olson vom White-Archiv
zugegeben:
"Frau White hat mehrere
irrtümliche historische Aussagen über Huß im 'Großen Kampf'' gemacht...
Ich akzeptiere die Tatsache:
Frau White folgte Wylie eng, sehr eng - in GC von Seite 97 durchgehend bis
Seite 11O (GK 96 bis
109) . . ."
Es ist schwer für mich zu
glauben, daß der Herr Frau White ein Gesicht oder eine Serie von Gesichten gab,
die vierzehn Seiten lang in all diesen Details mit Wylie gleichlaufen." - Robert W. Olson, "Questions and Problems Pertaining to
Mrs. White's Writings on John Huss" (Fragen und Probleme betreffs Frau
Whites Schriften über Johannes Huß), White Estate (Washington, D.C.) 1975,
Seite 4.
Als ich obiges Eingeständnis eines
"historischen Fehlers" las, dachte ich sogleich an die Sache mit den
beiden Herodes. Ellen White schreibt in EW 185 = EG 176: "Herodes' Herz
war noch härter geworden, und als er hörte, daß Christus auferstanden war. .
. Doch dies war nicht mehr Herodes
Antipas, sondern Herodes Agrippa I.
In einer Fußnote wird erklärt, es sei eben der
"herodianische Geist" gemeint, der sich weiter verhärtet habe. Daß
Ellen White das gemeint habe, mag glauben, wer will.
Ist es nicht viel einleuchtender, daß der damals
noch jungen, unerfahrenen (und hysterischen) Ellen eben solch ein
"historischer Fehler" unterlaufen ist, ein Anachronismus, der nicht
durch Inspiration abgedeckt war? Als
aber damals diese Fußnote mit ihrer Billigung eingefügt wurde, durfte man noch
nicht von ihren Fehlern oder Inspirationslücken sprechen; Olson und Graybill
wären damals als Ketzer hinausgeworfen worden (wie bei anderen wegen des gleichen Delikts tatsächlich geschehen).
Vielleicht
sollte man diese Fußnote nun ändern. Auf jeden Fall sollte im Interesse der
Wahrheit bei der Beschreibung über Huß in den Auflagen seit 1975 die Fußnote
steheri: "Hier liegt ein Anachronismus vor. Die Autorin hat die Interdikte
von 1411 and 1412 verwechselt."
Falls nicht
geschehen, kann man wohl fragen, ob ein anderes Interesse (Royalties) als das
der Wahrheit größer war.
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